Ein Junge inmitten von Baumwollbergen
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Interview mit Olivier De Schutter

Agrarökologie als Antwort auf den Krieg

Agrarökologie als Antwort auf den Krieg

Die Blockade des Exports von Getreide und anderen Nahrungsmitteln ist einer der weltweit spürbaren Kollateralschäden des Krieges in der Ukraine. Das Grundrecht auf Nahrung ist dadurch für viele Menschen in Frage gestellt. Olivier De Schutter, Sonderberichterstatter für Menschenrechte und extreme Armut des UN-Menschenrechtsrats, berichtet über seine Beobachtungen und Erfahrungen.

Artikel aus dem Magazin «handeln» vom Februar 2023
 
Interview Daniel Tillmanns
Fotos zvg / Alamy
 

Wie wirkt sich der Krieg in der Ukraine auf die Welternährung aus?
 
Die Ukraine und Russland sind wichtige Akteure in Produktion und weltweitem Handel von Getreide und Ölpflanzen. Das gilt insbesondere für Weizen und Sonnenblumenöl. Aber: Entgegen der weitverbreiteten Meinung sind die Sistierung von Abkommen zur Ausfuhr von Getreide oder die willkürliche 
Blockade von Getreideexporten durch Russland nicht die Haupttreiber für die Inflation. Denn bei einer jährlichen Gesamtmenge von 2800 Millionen Tonnen Getreide, die weltweit produziert werden, sind die von Russland blockierten 20 bis 25 Millionen Tonnen vernachlässigbar. 
Die Inflation bei den Lebensmittelpreisen ist auf die geopolitische Bedeutung des Konflikts zurückzuführen. Dieser verursacht grosse Unsicherheiten und enorme Nervosität auf den Weltmärkten. Das Umfeld bietet derzeit besonders günstige Bedingungen für rücksichtslose Spekulationen, die die Ängste der von Nahrungsmittelimporten abhängigen Länder und der Käufer:innen verstärken. Letzten Endes wirkt sich diese Spekulation auf die Preise aus – unabhängig von den verfügbaren Beständen und Reserven.
Wie können die Länder die Auswirkungen der Spekulation begrenzen?
 
Es gibt drei Sofortmassnahmen, die dringend umgesetzt werden müssen.
Erstens müssen Länder, die stark von Nahrungsmittelimporten abhängig sind, in die Agrarökologie investieren, um für den Eigenbedarf genügend Nahrungsmittel zu produzieren. Nordafrika oder die Länder am Horn von Afrika sollten deshalb in die einheimische Produktion von Yamswurzeln, Süsskartoffeln, Sorgho oder Hirse investieren. Wenn Länder auf diese Weise ihre Ernährungssouveränität zurückgewinnen, können sie ihre Agrarpolitik selbst bestimmen und sind nicht mehr von den Erwartungen der internationalen Märkte abhängig.
Zweitens muss in landwirtschaftliche Produktionsmethoden investiert werden, die weniger Chemikalien, Pestizide oder Stickstoffdünger benötigen. Damit kann die Wechselbeziehung zwischen dem Markt für fossile Energieträger (Öl, Gas) und dem Nahrungsmittelmarkt beschränkt werden. Denn diese Beziehung ist angesichts der Unbeständigkeit der Öl- und Gasmärkte und ihrer direkten Auswirkungen auf die Produktionskosten von Nahrungsmitteln äusserst verhängnisvoll.
Drittens müssen Spekulation und Marktvolatilität bekämpft werden. Es gilt, die Transparenz auf den Märkten zu verbessern. Die Marktteilnehmer:innen – sowohl Regierungen als auch Unternehmen – müssen Auskunft über den Umfang der Lagerbestände, die Qualität der Ernten, den Stand von Angebot und Nachfrage erhalten, aber auch frühzeitige Informationen zu den Folgen von Wetterphänomenen. Dies sind die Lehren, die wir aus der Nahrungsmittelkrise von 2007/2008 gezogen hatten, die aber leider nicht nachhaltig umgesetzt wurden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass transparente Märkte die Unsicherheit und die Spekulation verringern.
Olivier De Schutter spricht ins Mikrofon
Zur Person
Olivier de Schutter

Olivier De Schutter ist Sonderbericht­erstatter für Menschenrechte und extreme Armut des UN-Menschenrechtsrats. Zwischen 2008 und 2014 hatte er das Mandat des UN-Sonderberichterstatters für das Recht auf Nahrung des Menschen­rechts­rats inne.
Von 2015 bis Mai 2020 war er Mitglied des Komitees für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Vereinten Nationen.

Sie sprechen von Investitionen in die Agrarökologie. Weshalb geht die Agrarpolitik in vielen Ländern des globalen Südens nicht in diese Richtung?
 
Einer der Hauptgründe ist die Rückzahlung von Auslandsschulden. Diese hält den Kreislauf der Abhängigkeit aufrecht. Zur Rückzahlung der in Dollar oder Euro notierten Schulden verlangen die OECD-Geberländer den Export hochwertiger Nahrungsmittel. Um den Forderungen nachzukommen, investieren die Regierungen von Ländern des globalen Südens in den intensiven Anbau von Kakao, Kaffee oder Baumwolle – auf Kosten der nachhaltigen agrarökologischen Produktion von Grundnahrungsmitteln wie Süsskartoffeln oder Sorgho.

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