Venezuela shelter
HEKS
Humanitäre Hilfe

Venezuela - Ein Land am Abgrund

Venezuela - Ein Land am Abgrund

Millionen von VenezolanerInnen haben in den letzten Jahren ihr von einer schweren Wirtschaftskrise und politischer Instabilität gebeuteltes Land verlassen – auf der Suche nach Arbeit und besseren Lebensperspektiven. Jene, die zurückbleiben, fristen oft ein Dasein in bitterster Armut. HEKS versucht, diesen Menschen wenigstens etwas Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu geben.

Artikel aus dem Magazin «handeln» vom August 2021
 
Text Eduardo De Francisco
Fotos HEKS
 
Die desolate Wirtschaftslage in Venezuela, wo der Anteil der Bevölkerung, die unter der Armutsgrenze lebt, in nur vier Jahren von 29,4 Prozent auf 87 Prozent gestiegen ist, hat Millionen VenezolanerInnen ins Exil gezwungen. Seit 2017 ist es keine Seltenheit, Menschen und ganze Familien zu sehen, die auf den Strassen unterwegs sind – in Richtung Kolumbien, Brasilien oder wo auch immer sie eine Einkommensquelle zu finden hoffen. Sie haben nur bei sich, was sie in ihren Händen tragen können, und müssen zu Fuss gehen, weil sie sich kein Busbillett leisten können. Sie werden «caminantes» genannt, «Fussgänger».
 

«Unerwünschte Eindringlinge»

El Amparo ist eine grüne Stadt im Staat Apure, am Fluss Arauca, direkt an der Grenze zu Kolumbien. Um sie zu erreichen, müssen weite Weideflächen durchquert werden – Grasland, das noch vor Kurzem von grossen Viehherden besiedelt war, die heute verschwunden sind. Man trifft an diesem Grenzübergang nicht selten auf Familien, die ausreisen wollen. Einige von ihnen leben bereits seit Jahren in El Amparo Nuevo, dem «neuen» El Amparo, einer informellen Siedlung aus Kartonwänden und Plastikdächern, ohne Zugang zu sauberem Wasser. Hier betteln die meisten Menschen, um zu überleben, oder sie fischen – zumindest manchmal
– im Fluss. Von den Behörden als unerwünscht betrachtet oder gar als «invasores», «Eindringlinge», bezeichnet, erhalten sie keinerlei staatliche Unterstützung und leben auf einem Stück Land, das jedes Jahr überflutet wird.
 
Im Februar 2020 begann HEKS, 120 Familien in El Amparo Nuevo zu unterstützen. Eine sichere Unterkunft zu haben, wurde von den Familien als oberste Priorität genannt. HEKS half ihnen, ihre Unterkünfte instandzustellen, und versorgte sie mit den notwendigsten Haushaltsartikeln. Zudem wurden Latrinen und eine Wasserentnahmestelle installiert. Und es wurde eine Staumauer saniert, die den Fluss Arauca am Überfluten hindert. Schliesslich wurde ein Schulhaus so instandgesetzt, dass es im Falle einer Naturkatastrophe als Notfallunterkunft dienen kann.

Katastrophale Hygienebedingungen 

Andreína Pantoja ist eine 33-jährige Frau, die in der Siedlung zuhause ist. Ihr Mann hat sie auf der Suche nach Arbeit zurückgelassen, konnte ihr bisher jedoch kein 

Geld schicken, weshalb sie alleine für ihre fünf Kinder und zwei ältere Bekannte sorgen muss. Sie ist dankbar für die Renovierungsarbeiten, freut sich aber besonders über die Bio-Latrine, die in ihrer Unterkunft installiert wurde. Die Hygienebedingungen in der Siedlung waren zuvor extrem prekär, die meisten BewohnerInnen verrichteten ihre Notdurft im Fluss. «Früher waren wir allen möglichen Krankheiten ausgesetzt, weil wir den Fluss Arauca für alle unsere Bedürfnisse nutzten», erzählt Andreína.

Wie alle anderen Familien ist auch sie sehr froh, nun sauberes Wasser zu erhalten. Vor Projektbeginn hatten 92 Prozent der Familien keinen Zugang zu sauberem Wasser. Sie verwendeten das Wasser aus drei verschiedenen Quellen, die alle kontaminiert waren, weshalb sie sauberes Wasser kaufen mussten. Nun haben alle Familien kostenlosen Zugang zu sauberem Wasser aus der von HEKS sanierten Entnahmestelle.
 

 

Ein neues Dach über dem Kopf

Isabel Contreras, Mutter von zwei kleinen, untergewichtigen Kindern, sah die Unterstützung von HEKS als Chance, ihre Hütte gänzlich neu zu bauen. Die NachbarInnen halfen mit, ein Techniker instruierte sie und leitete sie an. Schliesslich wurde eine neue Hütte mit zwei Zimmern gebaut.
«Es ist sehr selten, dass ich irgendwie zu Geld komme. Ohne dieses Projekt wäre es für mich unmöglich gewesen, meine Kinder zu ernähren und etwas Geld für den Hausbau auf die Seite zu legen.»

Nur einige Monate nach Projektstart und eine Regensaison später zeigte sich, dass die Arbeit an der Schutzmauer gelungen war. An den Schlüsselstellen waren drei Lagen spezielle textile, mit Zement gefüllte Säcke angebracht worden. Dann kam der Regen. Und zum ersten Mal in den vier Jahren, seit Menschen in El Amparo Nuevo leben, wurde die Siedlung nicht überschwemmt.

Venezuela shelter
HEKS

Müllmann und Vogeljäger

Eutimio Moncada ist 74 Jahre alt und lebt in dem kleinen Dorf El Nula im Staat Apure, nahe der kolumbianischen Grenze. Wie Hunderttausende andere ältere Menschen wurde er von seiner Familie zurückgelassen, die während der massiven Migration von VenezolanerInnen auf der Suche nach Arbeit ins Ausland abgewandert ist.

Eine Zeit lang konnte Eutimio etwas Geld verdienen, indem er mit seinem kleinen Tricycle Müll sammelte und auf der lokalen Müllhalde entsorgte. Sein Gefährt ging jedoch bei einem Verkehrsunfall kaputt, als er von einem betrunkenen Autofahrer angefahren wurde. Danach begann Eutimio in nahegelegenen Läden um Speisereste zu betteln – ein Leben in völliger Unsicherheit. Mit Beginn der COVID-19-Pandemie war auch dies keine Option mehr, denn viele LadenbesitzerInnen verweigerten den Kontakt oder schränkten ihre Öffnungszeiten stark ein. Ohne Nahrungsmittel und ganz alleine musste er anfangen, Vögel zu jagen, um etwas essen zu können.

Eutimio ist nur noch einen Schritt davon entfernt, völlig mittellos zu sein. Fürs Erste kann er in einem heruntergekommenen Haus wohnen, das einem nach Kolumbien ausgewanderten Freund gehört.

PIB, das Pendant von HEKS in Venezuela, betreibt in El Nula die Suppenküche «Comedor La Esperanza», die für alle BewohnerInnen geöffnet ist und von Freiwilligen geführt wird. Eutimio ist einer von Hunderten Erwachsenen, die sich darauf verlassen, hier etwas Warmes zu essen zu bekommen. «Comedor La Esperanza» wurde auch ein Ort, an dem die Menschen sich treffen: Viele kommen bereits Stunden bevor das Essen ausgegeben wird, um sich mit FreundInnen und NachbarInnen zu unterhalten.

Weitere Artikel dieser Ausgabe

Danke für Ihre Unterstützung.

Ihre Spende wird im Kleinen Grosses bewirken!

CHF
90
CHF
150
CHF
250
CHF
Bestimmen Sie selbst, wieviel Sie spenden möchten.
Ich spende für:
Humanitäre Hilfe Venezuela