Idylle rund um das Dorf Silit in Kalimantan
HEKS
Blogbeitrag von Tina Goethe vom 03.05.2023

Ein Idyll ohne Palmöl

Ein Idyll ohne Palmöl

Bester Schutz gegen Landraub durch Palmölfirmen sind kollektive Landrechte. Das zeigt ein kleines Dorf in Indonesien.

Ich sitze in einem einfachen Holzhaus in Silit, einem kleinen Dorf im indonesischen Borneo. Seit Februar ist der Ort mit seinen knapp 300 Einwohner:innen selbst dem indonesischen Präsidenten Joko Widodo ein Begriff.

Das ältere Ehepaar, das mir Kaffee anbietet, erzählt von ihrem Leben in Silit. Ein gutes Leben, wie sie sagen. Ihre vier Kinder leben ebenfalls hier und produzieren Reis und Kautschuk, wie schon die Eltern. Die Enkelkinder gehen im Ort zur Schule. Strom erhalten sie aus dem dorfeigenen Wasserkraftwerk am Fluss etwas oberhalb des Dorfes. «Nein, abwandern wollten die Kinder nicht», erzählt mir das Ehepaar. «Aber um den Wald zu erhalten, der sie umgibt und massgeblich für das gute Leben im Dorf verantwortlich ist, mussten sie kämpfen.»

Tina Goethe
Tina Goethe

Tina Goethe ist Co-Leiterin Entwicklungspolitik & Themen im Bereich Globale Zusammenarbeit.

Sie versprachen Anstellungen bei der Firma mit guten Einkommen.

Denn die Palmölindustrie Indonesiens ist nach wie vor auf Expansionskurs. Seit 2012 hat sich in ganz Indonesien die Fläche der Palmölplantagen mehr als vervierfacht. Kalimantan – der indonesische Teil von Borneo, in dem auch Silit liegt – ist neben Sumatra das Hauptanbaugebiet. Der grösste Teil der Fläche, auf denen heute Plantagen stehen, war vorher tropischer Wald. Unsere mehrstündige Autofahrt nach Silit führte folglich ebenfalls vor allem durch Plantagengebiete.

Seit Jahren versucht die Plantagenfirma der «DSN Group» auch in Silit und den benachbarten Dörfern an neues Land zu kommen. Regelmässig tauchten ihre Vertreter im Dorf auf, machten Versprechen und boten dem Dorfchef viel Geld. Sie versprachen Anstellungen bei der Firma mit guten Einkommen. In zwei Nachbardörfern war die «DSN Group» mit dieser Strategie erfolgreich. In Silit nicht. Dort hat die Dorfgemeinschaft gemeinsam mit der von HEKS unterstützten Umweltorganisation «WALHI» überlegt, wie sie ihr Territorium vor dem Zugriff der Plantagenfirmen schützen können. Als indigene Gemeinschaft verstehen sie ihr Land als kollektives Eigentum. Einen Landtitel dafür hatten sie damals jedoch nicht.

Ein wichtiger Schritt war die Kartierung ihres Territoriums.

Das Verfahren, um in Indonesien einen kollektiven Landtitel zu erhalten, ist lang und aufwändig. Nur wenigen indigenen Gemeinschaften ist das bisher gelungen. Silit entschied sich, diesen Weg zu gehen. Ein wichtiger Schritt war die Kartierung ihres Territoriums. Dafür war eine Delegation des Dorfes mehrere Tage im Wald unterwegs, hat die Koordinaten von Grenzmarkierungen wie alten Bäumen, Bachläufen oder Weggabelungen per GPS aufgenommen und eine digitale Karte erstellt. Diese ist Grundlage sowohl für den Landtitel als auch den zukünftigen Umgang mit dem Territorium. Zwei Drittel davon bleiben geschützter Wald, lediglich ein Drittel ist als Produktionsfläche reserviert. Niemand im Dorf darf eigenmächtig Land an Dritte abgeben.
 
Ende 2022 kam dann die lang ersehnte Nachricht aus Jakarta: Ihr kollektiver Waldbesitz (über 4272 Hektaren) wurde staatlich anerkannt und registriert. Im Regierungsbezirk Sintang – halb so gross wie die Schweiz – ist Silit das erste Dorf, das ein solches «Customary Forest Certificate» sein Eigen nennt. Am 22. Februar 2023 hat der indonesische Präsident Joko Widodo zwei Vertretern des Dorfes die Besitzurkunde eigenhändig überreicht. Das ist nicht nur eine grossartige Anerkennung für Silit. Es ist auch ein enorm wichtiges Zeichen für die Region. 
Männer des Dorfes Silit in Kalimantan schreiten die Grenzen ihres Dorfes ab.
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Ein gängiges Vorgehen von Palmölfirmen in Indonesien, um Löhne zu drücken.

In Kuai, einem der Nachbardörfer von Silit, haben einige Dorfbewohner den Versprechen der Plantagenfirma der «DSN Group» geglaubt und insgesamt 125 Hektaren Land an sie abgetreten. Die «DSN Group» ist Mitglied des freiwilligen Nachhaltigkeitslabel RSPO (Roundtable for Sustainable Palm Oil). Das hindert sie trotz Eingeständnisses zur Nachhaltigkeit aber offensichtlich nicht daran, den Dorfgemeinschaften mit falschen Versprechen ihr Land abzuluchsen. Denn keines ihrer Versprechen habe sich bewahrheitet, wie uns der Dorfchef an einem Treffen in Kuai berichtete. Anfangs habe die ehemaligen «Landbesitzer» noch für die Plantage gearbeitet. «Doch dann hat das Unternehmen die Arbeitsbedingungen verschlechtert und die Gehälter stark gesenkt, sodass sie kündigen mussten. Der Betrieb habe daraufhin Arbeiter:innen aus anderen Provinzen angestellt. Ein gängiges Vorgehen von Palmölfirmen in Indonesien, um Löhne zu drücken.»

In Kuai sind der Frust und die Wut auf das Unternehmen gross. Nach dem Erfolg von Silit wollen auch Kuai und weitere Nachbardörfer ihre kollektiven Landrechte offiziell anerkennen lassen. Denn die desaströsen Auswirkungen der industriellen Plantagen auf die Umwelt sind offensichtlich. Und wenn das Land erstmal in der Hand der Plantagenfirmen ist, sind die Dörfer auch ökonomisch von ihnen abhängig. Auf die Versprechen der Unternehmen können sie sich nicht verlassen – Nachhaltigkeitslabel ändern daran gar nichts. Die Menschen in Silit machen es vor: Ein gutes Leben ist besser, ohne Palmöl zu haben.

Fokus Palmöl in Indonesien
Fokus
Palmöl

Indonesien ist seit 1990 zum weltweit grössten Exporteur von Palmöl avanciert. Auf einer Fläche, die fast so gross ist wie Deutschland, reiht sich heute eine Ölpalme an die andere. Den Preis dafür bezahlen die Umwelt und die Menschen, deren Lebensgrundlage weiträumig zerstört wird.

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