HEKS-Beschwerde führt zu Erleichterung im Familiennachzug

In der Schweiz konnten geflüchtete Menschen mit einer vorläufigen Aufnahme bisher ihre Familienangehörigen frühestens nach einer Wartefrist von drei Jahren nachziehen. Dank der Beschwerde einer Juristin der HEKS-Rechtsberatungsstelle (SAJE) in Lausanne hat das Bundesverwaltungsgericht nun seine Rechtsprechung angepasst: Ab sofort muss bereits vor Ablauf der dreijährigen Wartefrist das Recht auf Familie im Einzelfall abgewogen werden. 

Eine eritreische Mutter erreichte 2016 nach einer traumatisierenden Flucht zusammen mit ihrem damals fünfjährigen Sohn die Schweiz und ersuchte um Asyl. Mit ihrem Ehemann und Vater ihres Sohnes, der ebenfalls aus Eritrea geflüchtet ist, stand sie stets in Kontakt, in der Hoffnung auf eine Wiedervereinigung. Trotz ihres schlechten Gesundheitszustands schaffte sie es, Französisch zu lernen und eine Arbeitsstelle zu finden. Da es auch ihrem Sohn gesundheitlich nicht gut ging, wünschte sie, endlich Unterstützung durch ihren Ehemann zu erhalten. Ihr Gesuch um dessen Nachzug wurde vom Staatssekretariat für Migration (SEM) jedoch abgelehnt – mit der Begründung, die dreijährige Wartefrist für vorläufig Aufgenommene sei noch nicht abgelaufen. 
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Dagegen wehrte sich die HEKS-Rechtsberatungsstelle (SAJE) in Lausanne, gestützt auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (M.A. gegen Dänemark), und erhielt Recht: Das Recht auf Familie müsse im Einzelfall abgewogen werden und Einschränkungen müssten verhältnismässig sein, teilte das Bundesverwaltungsgericht Ende letzter Woche mit; vor allem die Interessen von Kindern seien hoch zu gewichten.  

Wichtiger Schritt in die richtige Richtung  

«Wir sind froh, dass die Lebensumstände getrennter Familien künftig stärker berücksichtigt werden müssen», sagt Chloé Ofodu, Leiterin des SAJE. Denn die Zusammenführung von Familien sei häufig zentral für die Stärkung, Förderung und Integration geflüchteter Menschen. Ist weder eine Rückkehr in den Herkunftsstaat noch ein Zusammenleben in einem Drittstaat absehbar, so sollte die Familienzusammenführung möglichst rasch ermöglicht werden. Deshalb setzt sich HEKS juristisch sowie in seiner politischen Arbeit seit Langem für eine Verbesserung des Status F (vorläufige Aufnahme) und die Achtung des Rechts auf Familienleben ein.  

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Das Bundesverwaltungsgericht erachtet eine Wartefrist von zwei Jahren noch als zulässig. Ofodu weist indessen darauf hin, dass auch zwei Jahre – vor allem im Leben eines kleinen Kindes – eine lange Zeit sind. Dazu kommt die Zeit der Trennung während der Flucht und des Asylverfahrens. «Ist die Einreise dann durch das SEM bewilligt, dauert es in den meisten Fällen noch mehrere Monate, bis alle Papiere bereit sind und die Familie effektiv vereint ist», betont die Leiterin des SAJE. «Diese verlorene Zeit im Leben eines Kindes wird nie mehr wiederkehren.» 

Der Fall der eritreischen Familie muss nun erneut vom SEM beurteilt werden, und es dürfte noch eine Weile dauern, bis der mittlerweile 11-jährige Junge effektiv mit seinem Vater zusammenleben kann. Doch das Bundesverwaltungsgericht stellt jetzt schon klar: Die Praxis und letztendlich auch das Gesetz müssen für alle vorläufig Aufgenommenen angepasst werden. 

Medienmitteilung des Bundesverwaltungsgericht vom 7.12.22