Stellungnahme vom 17. März 2021

HEKS fordert: Kein Verbot von Auslandreisen für vorläufig Aufgenommene

HEKS bedauert den heutigen Entscheid des Ständerates, auf die geplante Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) einzutreten (Geschäft 20.063). Diese sieht leider unverhältnismässige Verschärfungen und nur marginale Verbesserungen vor: Insbesondere das vorgesehene generelle Reiseverbot für vorläufig aufgenommene Personen verletzt die Grundrechte der Betroffenen und erschwert ihre Integration. HEKS appelliert deshalb an den Nationalrat, an seinem Nichteintretensentscheid festzuhalten und den Integrationsprozess vorläufig Aufgenommener nicht zusätzlich zu behindern. 

Knapp 50'000 Menschen sind in der Schweiz vorläufig aufgenommen. Mittlerweile ist bekannt, dass der grösste Teil von ihnen dauerhaft in der Schweiz bleiben wird. Für viele von ihnen ist die vorläufige Aufnahme ein langjähriger Zustand. Vor allem für Kinder, Alleinerziehende, Kranke, Menschen mit einer Behinderung und ältere Personen sind die Hürden zur Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung praktisch unüberwindbar. Diese Personen wären von den vorgesehenen Verschärfungen des Gesetzes besonders betroffen.
Beratungsstelle für Asylsuchende in Basel
Annette Boutellier

Gegen ein generelles Verbot von Auslandreisen

Bereits heute sind die Voraussetzungen für Reisebewilligungen für vorläufig Aufgenommene sehr restriktiv. Das vom Bundesrat geforderte allgemeine Reiseverbot auf Gesetzesstufe geht noch weiter. Eine derartige Einschränkung der Bewegungsfreiheit (Art. 10 BV) und des Rechts auf Familienleben (Art. 14 BV) ist unverhältnismässig und ein öffentliches Interesse ist nicht erkennbar. Im Gegenteil: Das generelle Reiseverbot bestraft kollektiv knapp 50'000 Menschen aus Furcht vor vereinzelten Missbrauchsfällen. Es führt zu einem erheblichen administrativem Aufwand, auch für Arbeitgebende und Behörden, denn jede Auslandreise muss beantragt und geprüft werden. Es erschwert zudem die Integration von vorläufig aufgenommenen Personen und kann ihre Gesundheit beeinträchtigen. Aus seiner Projektarbeit kennt HEKS die Betroffenen persönlich:

Eine geflüchtete Frau aus Afghanistan lebt seit neun Jahren als vorläufig Aufgenommene in der Schweiz. Oft fühlt sie sich einsam. Ihr Bruder als nächster Familienangehöriger lebt mit seiner Familie in Deutschland. Aufgrund des Reiseverbots darf sie ihn nicht besuchen. Darunter leidet die Frau psychisch enorm. Im Deutschkurs kann sie sich nicht konzentrieren.*

Millionen Familien werden auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung auseinandergerissen. Die verlorenen Familienangehörigen und Freunde wiederzufinden und sie auch im Ausland besuchen zu können, ist für geflüchtete Menschen enorm wichtig. Wird dies verboten oder nur ausnahmsweise bewilligt, wirkt sich dies negativ auf die Gesundheit und auf die Integrationsfähigkeit der Betroffenen aus. Das Reiseverbot kann zusätzlich den Einstieg in den Arbeitsmarkt behindern: 

Ein syrischer Ingenieur mit internationaler Projekterfahrung hatte bereits die Zusage für eine qualifizierte Stelle bei einer Herstellerfirma für Aufzüge. Diese Stelle wäre mit einer Reisetätigkeit verbunden gewesen. Als dem Arbeitgeber die grossen administrativen Hürden und die Planungsunsicherheit bezüglich Auslandreisen bewusst wurden, zog er das Jobangebot zurück. Der syrische Ingenieur bezieht somit weiterhin Sozialhilfe.*

Integration unterstützen, nicht behindern

Ein Reiseverbot für vorläufig Aufgenommene belastet nicht nur die Betroffenen, sondern zeitigt negative Konsequenzen für die ganze Gesellschaft. HEKS bedauert deshalb, dass der vorliegende Gesetzesentwurf vom Ständerat als Basis für die parlamentarische Detailberatung akzeptiert wurde. HEKS appelliert nun an den Nationalrat, an seinem Nichteintretensentscheid festzuhalten und den Gesetzesentwurf erneut abzulehnen. In einem zweiten Schritt bedarf es einer grundlegenden Revision des Status der vorläufigen Aufnahme, damit die Integrationsperspektiven der Betroffenen tatsächlich verbessert werden können.

*Zwei reale Beispiele aus der HEKS-Projektarbeit, die beiden Personen sind HEKS bekannt. 

Samuel Berner
Abteilungsleiter Medien und Information
Samuel Berner

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