Stellungnahme vom 22. Februar 2023
Nun ist der Ständerat gefordert: Gegen Armut, für Inklusion
Die Sozialhilfe trägt in der Schweiz nicht alle Menschen gleich. Menschen ohne Schweizer Pass werden diskriminiert. Die Folgen sind zunehmende Armut und Ausgrenzung. Trotzdem sieht die staatspolitische Kommission des Ständerates (SPK-S) keinen Handlungsbedarf und lehnt die parlamentarische Initiative «Armut ist kein Verbrechen» von Nationalrätin Samira Marti (SP) ab. HEKS appelliert an den Ständerat, diesen Entscheid zu korrigieren und damit ein wichtiges Zeichen gegen Armut und für eine inklusive Schweiz zu setzen.
Armut kann jede und jeden treffen. Ein Arbeitsplatzverlust, ein Unfall, eine Krankheit, eine Scheidung oder ein anderer Schicksalsschlag können Menschen unerwartet in eine finanzielle Notlage bringen. In der Schweiz ist die Sozialhilfe das letzte Sicherheitsnetz für Personen, die ihren Lebensunterhalt nicht (mehr) selbst bestreiten können. Die Sozialhilfe hat die Aufgabe, die Menschen vor Armut und Ausgrenzung zu schützen und allen ein Leben in Würde zu garantieren. Dies ist in der Bundesverfassung festgeschrieben und gilt eigentlich für die gesamte Schweizer Bevölkerung. Eigentlich. Denn das Recht auf Sozialhilfe wurde für Menschen ohne Schweizer Pass mit dem Inkrafttreten des verschärften Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) im Januar 2019 stärker mit dem Aufenthaltsrecht verknüpft.
Jean-Patrick di Silvestro
Seit 2019 müssen armutsbetroffene Personen ohne Schweizer Pass um ihre Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung in der Schweiz fürchten, wenn sie Sozialhilfe beziehen, selbst wenn sie schon länger als zehn Jahre in der Schweiz leben, viele Jahre hier gearbeitet haben oder sogar hier geboren sind. Eine Gesetzesverschärfung, die – so die Absicht des Parlaments – den sogenannten missbräuchlichen Sozialhilfebezug sanktionieren sollte, sanktioniert heute armutsbetroffene Menschen ohne Schweizer Pass: Insbesondere ältere oder kranke Personen sowie Familien mit Kindern oder Alleinerziehende, die ein legitimes Anrecht auf Sozialhilfe haben und von der Migrationsbehörde dennoch einen Wegweisungs- oder Rückstufungsentscheid erhalten. Die schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht (SBAA) hat entsprechende Fälle dokumentiert.
Menschen ohne Schweizer Pass, die Sozialhilfe beziehen, leiden enorm unter der Androhung aufenthaltsrechtlicher Konsequenzen. Der psychische Druck macht krank, erschwert die soziale Teilhabe und den beruflichen Wiedereinstieg. Viele verzichten aus Angst ganz auf den Bezug von Sozialhilfe. Eine von ihnen ist Mirian Dias Santana. Als ehemalige Sans Papiers möchte sie ihre Aufenthaltsbewilligung B auf keinen Fall gefährden – lieber verschuldet sie sich. Sie ist kein Einzelfall. Die Verschuldung ist häufig der Beginn eines Teufelskreises. Die Folgen sind höchst prekäre Lebenssituationen. Es droht der Verlust der Wohnung. Auf notwendige ärztliche Behandlungen wird verzichtet. Die berufliche Integration wird weiter erschwert. Armut und Ausgrenzung nehmen zu.