Stellungnahme vom 15. März 2022

Schweiz muss legale Fluchtwege einrichten

In diesen Tagen erleben wir eindrücklich, wie rasche und unbürokratische Hilfe für flüchtende Menschen möglich sein kann, wenn Solidarität und politischer Wille vorhanden sind. Doch gilt diese Solidarität offenbar nicht für alle Geflüchteten: Der Ständerat lehnte heute die Wiedereinführung des Botschaftsverfahrens ab. HEKS bedauert diesen Entscheid. Denn für verfolgte und geflüchtete Menschen ausserhalb Europas gibt es seit der Abschaffung des Botschaftsverfahrens 2012 kaum noch legale und sichere Fluchtwege in die Schweiz. Gerade für die Verletzlichsten unter ihnen – Frauen, Kinder, Kranke und Betagte – wäre das Botschaftsverfahren eine dringend notwendige Einrichtung, um Schutz vor Verfolgung ersuchen zu können. 

Wer im Herkunftsland verfolgt und an Leib und Leben bedroht wird, erhält in der Schweiz Asyl – vorausgesetzt, sie oder er befindet sich bereits in der Schweiz. Doch seit der Abschaffung des Botschaftsverfahrens 2012 bestehen für Verfolgte kaum noch Möglichkeiten einer legalen Einreise in die Schweiz. Deshalb geraten sie in die Abhängigkeit von skrupelloseSchleppern und sind gezwungen, grosse Risiken einzugehen. Für die Schlepperdienste bezahlen sie viel Geld und manchmal auch mit ihrem Leben. HEKS, das Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz, kennt unzählige Fälle von Menschen, die auf ihrer Flucht in die Schweiz Misshandlungen erlitten und deshalb traumatisiert sind.  
Medienmitteilung: Schweiz muss legale Fluchtwege einrichten
HEKS

Das humanitäre Visum ist kein Ersatz zum Botschaftsverfahren 

Das Botschaftsverfahren wurde 2012 abgeschafft mit dem Hinweis auf das bestehende Instrument des humanitären Visums, mit dem verfolgte und bedrohte Menschen legal in die Schweiz einreisen können. Das humanitäre Visum ist in dieser Hinsicht ein wichtiges Instrument. Die Voraussetzungen, ein solches Visum zu erhalten, sind jedoch streng und werden restriktiv interpretiert: Nur wer im Herkunftsstaat ist und dort unmittelbar, ernsthaft und konkret an Leib und Leben gefährdet ist, bekommt ein humanitäres Visum (Art. 4 Abs. 2 VEV). Wer hingegen bereits in einen Drittstaat geflüchtet ist, ist in der Regel davon ausgeschlossen (sog. Drittstaatenregelung) – auch wenn es im Herkunftsland gar keine Schweizer Vertretung gibt und damit keine Möglichkeit bestand, vor Ort einen Antrag für ein humanitäres Visum zu stellen. Dies trifft aktuell auf Menschen aus Afghanistan zu, wo sich die Menschenrechtslage weiter verschlechtert. Die HEKS-Rechtsberatungsstellen in Basel und Lausanne unterstützen Afghan:innen beim Beantragen humanitärer Visa. Die allermeisten dieser Anträge werden jedoch von den Schweizer Vertretungen im Iran und in Pakistan mit Verweis auf die Drittstaatenregelung abgelehnt. Dies, obwohl die Antragstellenden in Afghanistan konkreter Bedrohung durch die Taliban ausgesetzt sind, und diese Bedrohung selbst bei einem Aufenthalt in den Nachbarländern Iran oder Pakistan häufig weiter besteht.  

 

Die Voraussetzung der unmittelbaren und konkreten Gefährdung, die für ein humanitäres Visum gegeben sein muss, schliesst zudem all diejenigen Personen aus, die begründete Furcht vor einer künftigen Gefährdung haben. Das Humanitäre Visum ist deshalb in der jetzigen Praxis kein Ersatz zum Botschaftsverfahren. 

Gerade die verletzlichsten Menschen sind auf legale Fluchtwege angewiesen  

Beim Botschaftsverfahren geht es einzig darum, die Zulassung einer Person zum Asylverfahren in der Schweiz zu prüfen und nicht um einen Asylentscheid. HEKS unterstützt deshalb die Wiedereinführung des Botschaftsverfahrens als eine von mehreren Massnahmen zur Einrichtung legaler Fluchtwege in die Schweiz.  

Weiterhin fordert HEKS, dass die Schweiz das Aufnahmekontingent für schutzbedürftige Menschen deutlich erhöht, auf jährlich 10'000 Personen. Gerade während der aktuellen, weltweiten Krisen steht die Schweiz besonders in der Verantwortung, die Not von Flüchtlingen weltweit zu lindern und besonders verletzlichen Personen aus der Ukraine sowie aus anderen Ländern Schutz und Zuflucht zu gewähren.  

Bettina Filacanavo
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