Umstrittenes CO2-Kompensationsprojekt bringt lokale Gemeinschaften in Bedrängnis
Der Handel mit CO2-Zertifikaten ist in den letzten Jahren zu einem lukrativen Geschäft geworden. Im westafrikanischen Staat Sierra Leone planen internationale Investoren grossflächige Baumplantagen, um diese für CO2-Kompensationsprojekte zu nutzen. Doch eine Recherche des Hilfswerks HEKS zeigt: Viele Bauernfamilien, die das Land besitzen, haben dem Projekt offenbar nicht wie gesetzlich vorgeschrieben zugestimmt. Dies verstiesse nicht nur gegen sierra-leonisches Recht, sondern wohl auch gegen die Prinzipien von «Verra», jener Organisation, welche die CO2-Gutschriften zertifizieren soll. In das umstrittene Projekt ist auch die Schweizer Beratungsfirma «Ecosecurities» involviert.
«Wir produzieren klimaneutral». So werben heute weltweit viele Firmen, obschon sie teilweise weiterhin grosse Mengen CO2 ausstossen. Der Trick: Die Unternehmen kaufen CO2-Zertifikate aus Projekten, die Emissionen reduzieren oder Kohlenstoff speichern sollen, z.B. mittels Aufforstung. Allerdings: Das für die Anbieter der Zertifikate lukrative Geschäft erhöht die globale Nachfrage nach Land und führt oft dazu, dass Kleinbauernfamilien im globalen Süden die Kontrolle über ihr Land und damit ihre Lebensgrundlage verlieren.
Genau dies droht vielen Familien in der Region von Port Loko in Sierra Leone. Dort haben die kanadische Firma «Carbon Done Right» und das in Sierra Leone domizilierte und mit «Carbon Done Right» verbundene Unternehmen «Rewilding» ein Projekt zur Aufforstung von mindestens 25 000 Hektaren Land lanciert, um so über 50 Jahre zwölf Millionen Tonnen CO2 zu speichern. Durch den Verkauf der entsprechenden Zertifikate erwarten die Unternehmen Einnahmen von 300 bis 450 Millionen US-Dollar.
Verstösse gegen Landrecht befürchtet
Eine Recherche von HEKS und vier weiteren NGOs aus Sierra Leone lässt nun starke Zweifel an der Legalität des Projekts aufkommen. Gemäss dem Landrecht von Sierra Leone müssen bei Pachtverträgen 60 Prozent der Mitglieder einer landbesitzenden Familie ihre schriftliche Einwilligung geben und vorher ausreichend über das auf ihrem Land geplante Projekt informiert worden sein. Der Investor muss die Einwilligung anschliessend bei den Behörden registrieren lassen. Nur dann kann das Land verkauft oder verpachtet werden. Die Recherche, für die u.a. die Bewohner:innen von 25 Dörfern befragt wurden, deutet stark darauf hin, dass diese Bestimmungen nicht eingehalten wurden. Auch «Carbon Done Right» und «Rewilding» konnten auf Nachfrage des Rechercheteams nur ungenügende schriftliche Nachweise beibringen.
Diese Situation verstiesse zudem gegen das Prinzip der «freien, vorherigen und informierten Zustimmung» (free prior and informed consent; FPIC), ein wichtiges Kriterium von «Verra», welche die CO2-Gutschriften aus dem Projekt zertifizieren und damit handelbar machen soll. Den dafür notwendigen Antrag und die entsprechende Dokumentation hat die in Genf domizilierte Beratungsfirma «Ecosecurities» im Auftrag von «Rewilding» erstellt. Einige zentrale Angaben von Ecosecurities in der Dokumentation widersprechen jedoch den Ergebnissen der Recherche.
Zahlreiche Widersprüche
«Ecosecurities» schreibt, das «Rewilding»-Projekt basiere auf einem kontinuierlichen Engagement mit lokalen Gemeinschaften, auf einer robusten FPIC-Strategie und einem partizipativen, inklusiven Ansatz. Dies widerspricht jedoch den Erkenntnissen des Rechercheteams und den Aussagen betroffener Landbesitzer:innen. So gaben z.B. fast alle befragten Frauen zu Protokoll, dass sie nur unzureichend in die Verhandlungen zum Landdeal mit «Rewilding» einbezogen worden seien.
Viele vom Rechercheteam befragte Landbesitzer:innen hatten zudem keine Vorstellung, was CO2-Zertifikate sind, und sie wussten nicht, dass «Rewilding» gemäss Antrag an «Verra» mit einer Nutzungsdauer von 50 Jahren rechnet. In den Verhandlungen war meist nur von 25 Jahren die Rede, eine längere Pachtzeit wäre für viele Betroffene völlig inakzeptabel. Unklar ist auch, wie die Landbesitzer:innen in den Genuss der von «Rewilding» versprochenen zehn Prozent der Gewinne kommen sollen. Aufhorchen lässt, dass «Rewilding» offenbar mit jährlichen Einnahmen von 360 US-Dollar pro Hektare Land rechnet, der Pachtzins für die Landbesitzer:innen aber nur 14 Dollar pro Hektare und Jahr betragen soll.