Stellungnahme vom 08. April 2020

Weiterführung der Asylverfahren darf nicht zu Lasten der Asylsuchenden gehen

HEKS ist im Auftrag des Staatssekretariats für Migration (SEM) zuständig für die Beratung und Rechtsvertretung in den beschleunigten Asylverfahren in den Bundesasylzentren (BAZ) der Nordwest- und der Ostschweiz. Ziel der Arbeit von HEKS ist es, durch die frühe Information und enge Begleitung der Asylsuchenden eine hohe Qualität der Asylverfahren zu fördern und trotz Beschleunigung die Einhaltung aller rechtsstaatlichen Grundsätze sicherzustellen. Die Corona - Pandemie stellt für unsere ganze Gesellschaft eine besondere Herausforderung dar. Für Asylsuchende gilt dies in besonderem Masse. Häufig sind sie traumatisiert, haben Vorerkrankungen oder sind aufgrund ihrer Voraussetzungen in Bezug auf Sprache und Bildung nicht in der Lage, die aktuelle Situation richtig einzuordnen.

Oberstes Ziel von HEKS ist, dass die Rechte der Asylsuchenden weiterhin vollumfänglich geschützt sind. HEKS wird deshalb trotz erschwerter Bedingungen alle personellen Ressourcen ausschöpfen, um die Begleitung der Asylsuchenden und die Teilnahme an Befragungen in den Bundesasylzentren sicherzustellen.

HEKS begrüsst, dass der Bundesrat sich in seiner Verordnung vom 1. April 2020 explizit zu den Herausforderungen im Asylbereich geäussert hat und besondere Schutzvorkehrungen für Anhörungssituationen getroffen hat, um Asylsuchende und alle anderen Verfahrensbeteiligten zu schützen.

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Höchste Rechtsgüter stehen auf dem Spiel

HEKS weist jedoch darauf hin, dass die durch die Corona-Pandemie verursachten besonderen Umstände den Ablauf von Asylverfahren erheblich beeinflussen. Verletzungen der grundlegenden Rechte von Asylsuchenden müssen mit gemeinsamer Anstrengung aller Involvierten unbedingt verhindert werden. Bei Asylsuchenden stehen höchste Rechtsgüter wie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit auf dem Spiel; deshalb müssen die Qualitätseinbussen im Asylverfahren trotz der schwierigen Situation während der Corona-Pandemie stets verhältnismässig zu den langfristigen Auswirkungen für das Leben der Asylsuchenden sein.

Die Klärung medizinischer Sachverhalte ist unabdingbar für die Beurteilung der Zumutbarkeit eines Wegweisungsvollzugs von Asylsuchenden. Aus Sicht von HEKS sollten daher während der Corona-Pandemie keine negativen Asylentscheide verfügt werden, welche einer individuellen, medizinischen Prüfung der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs bedürfen. Zudem sollten Risikogruppen besser geschützt werden und deren Verfahren sistiert werden.

Die Dublin-Verordnung regelt, welches Land für die Durchführung des Asylverfahrens einer asylsuchenden Person zuständig ist. Wegen der Corona-Pandemie sind derzeit und auf unabsehbare Zeit weder Rücküberstellungen möglich, noch können die einzelnen Staaten die erforderlichen Standards bei Unterbringung und medizinischer Betreuung gewährleisten. Aus Sicht des HEKS sollte mit der Verfügung von Dublin-Entscheiden so lange zugewartet werden, bis Rechtssicherheit betreffend der Überstellungsmodalitäten besteht und die Versorgung von verletzlichen Personen sichergestellt ist. Dem Rechtsschutz ist es nicht möglich, innert der heutigen Beschwerdefrist von fünf Tagen angemessen zu reagieren. Häufig befinden sich Asylsuchende in weit abgelegenen Unterkünften (BAZoV) und die Kontaktaufnahme ist für den Rechtsschutz erschwert. Zudem herrscht eine grosse Rechtsunsicherheit darüber, was die Asylsuchenden mit Dublin-Entscheiden in den nächsten Monaten zu erwarten haben. Der Rechtsschutz versucht, möglichst umfassend zu informieren und rechtlich zu intervenieren, stösst aber an seine Grenzen. HEKS befürchtet, dass besonders verletzliche Personen aktuell nicht ausreichend geschützt sind.  

Rücksicht auf die ausserordentliche Situation notwendig

Alle Rechtsvertreter unterliegen der übergeordneten Pflicht, die Interessen ihrer MandantInnen zu wahren. Im beschleunigten Asylverfahren bedeutet dies weit mehr als die Begleitung zu Befragungen oder die Erklärung von Verfügungen. Es finden zahlreiche Vorgespräche statt, Beweismittel müssen organisiert, Rechte und Pflichten transparent gemacht werden. Besonders verletzliche Personen, etwa Opfer von Menschenhandel oder unbegleitete minderjährige Asylsuchende, unterliegen besonderen Vorgaben, welche eingehalten werden müssen. Der Rechtsschutz ist bemüht, diesen Anforderungen weiterhin gerecht zu werden. HEKS erwartet aber von den Behörden, dass in Bezug auf Anliegen und Eingaben des Rechtsschutzes im beschleunigten Verfahren den aktuellen schwierigen Umständen Rechnung getragen wird und diese sich nicht zu Lasten der Asylsuchenden auswirken dürfen. HEKS begrüsst in diesem Zusammenhang auch die Verlängerung der Beschwerdefrist von 7 auf 30 Tage. HEKS weist aber darauf hin, dass das Ziel eines raschen und fairen Asylverfahrens nur erreicht werden kann, wenn bereits im erstinstanzlichen Verfahren auf die für alle Beteiligten aussergewöhnliche Situation Rücksicht genommen wird. Die Corona-Pandemie sollte nicht dazu führen, dass Asylsuchende ihre grundlegenden Verfahrensrechte gerichtlich einklagen müssen.

Samuel Berner
Abteilungsleiter Medien und Information
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