Saatgutmesse stärkt Tradition des Tauschhandels
In der DNA des Saatguts stecken die Geschichte und das Wissen der Vorfahren.
Haufenweise Samen von Getreide, Gemüse, Obst und Heilpflanzen aus all diesen Ländern sind an farbenfrohen Messeständen ausgestellt. Jedes Saatgut zeugt nicht nur von der reichen biologischen Vielfalt des afrikanischen Kontinents, sondern auch von tausend Jahre altem Wissen der Vorfahren diese Samen auszuwählen, sie zu vermehren, aufzubewahren und zu tauschen. Einige Messeteilnehmende berichten mir, wie diese Samen sie spirituell und materiell mit ihren Vorfahren verbinden. Leider besteht heute die Gefahr, dass dieses Erbe und viel Wissen darüber verlorengehen, weil Regierungen den Wert des Saatguts absprechen. Auf dieses Thema werde ich später noch genauer eingehen.
An einem Stand treffe ich Aussteller aus dem Tschad, die 2000 Kilometer durch die Wüste gereist sind. Andere brauchten 48 Stunden, um von Simbabwe nach Zhoungbounou, dem Veranstaltungsort der Messe, zu gelangen. Sie alle wollten diese Saatgutmesse keinesfalls verpassen!
Ich begegne auch Aissatou, einer jungen senegalesischen Bäuerin. Das Saatgut, das sie für die Ausstellung ausgewählt hat, macht mich neugierig: verschiedene Sorten Tomaten, Salat, Frischgemüse, Hirse, Reis, Sorgho, Stangenbohnen und sogar Samen von Jujube-Bäumen. Sie erklärt mir, dass sie sich aufgrund der Zielsetzung der Messe – das genetische Erbe zu teilen und zu bewahren – dafür entschieden habe, Saatgut auszustellen, das vom Aussterben bedroht sei. «Sollte ich das Saatgut verlieren, hat es wenigstens jemand anderes», meint sie. Ihre Befürchtung ist grösser als ihr individuelles Interesse; sie will etwas zur Stärkung der regionalen und globalen Biodiversität beitragen.
Auf der Messe wird viel diskutiert, die Atmosphäre ist entspannt und festlich. Man hört ganz unterschiedliche Sprachen. Es ruft Erinnerungen aus meiner Kindheit wach an den Markt im Freien in meinem Herkunftsland Eritrea. Jeden Freitag kamen damals Händler:innen und Leute verschiedener Ethnien von weit her und tauschten sich in vielen Sprachen aus.
Seit Jahrtausenden wird Saatgut als Ressource genutzt, die der Allgemeinheit zur Verfügung stehen soll.
Der einzige Unterschied zum herkömmlichen Markt ist, dass an der Saatgutmesse nichts verkauft wird und kein Geld den Besitzer wechselt. Saatgut ist eine öffentliche Ressource und darf niemals privatisiert oder für persönliche Gewinne zu Geld gemacht werden. Seit Jahrtausenden hat die Menschheit auf der ganzen Welt diese Ressourcen genutzt und dazu beigetragen, ihr Sorge zu tragen, sie zu vermehren und zu bewahren, damit sie der Allgemeinheit zur Verfügung stehen.
Dies steht in deutlichem Kontrast zur Politik multinationaler Unternehmen und der Regierungen. Sie wollen diese öffentlichen Ressourcen durch geistige Eigentumsrechte, Privatisierungen und Gesetze für sich beanspruchen und zu Geld machen. Sie zielen darauf ab, den freien Austausch und bestimmte Praktiken zu verbieten.
Wer dein Saatgut hat, hat deinen Bauch.
Zusätzlich zu den Gesundheits- und Umweltgefahren, die von GVO und Chemikalien ausgehen, zerstört diese Politik der Privatisierung von Saatgut die biologische Vielfalt. Sie verschlechtert die Ernährung, da sie die Spezialisierung auf bestimmte Kulturen und Monokulturen privilegiert. Dazu sagte mir ein Messeteilnehmer: «Wer dein Saatgut hat, hat deinen Bauch, und wenn er deinen Bauch hat, ist das der Tod.»
Seit meiner Rückkehr stehe ich mit Personen in Kontakt, die ich auf der Messe kennengelernt habe. Einige Teilnehmende, darunter jene aus Simbabwe und die junge senegalesische Bäuerin Aissatou, haben es bereits geschafft, aus dem Saatgut, das sie dort gefunden hatten, Pflanzen zu ziehen. Gibt es etwas Besseres, um für Biodiversität zu sorgen, als der freie Austausch und die freie Lagerung von Saatgut?