«Professionalität und Werte gehen Hand in Hand»

Ende 2017 trat Claude Ruey als Präsident des HEKS-Stiftungsrats zurück. Im folgenden Gespräch blickt er auf die vergangenen 15 Jahre seiner Tätigkeit zurück und wagt auch einen Blick auf kommende Herausforderungen für HEKS.

 

Claude Ruey, Sie gehörten 15 Jahre lang dem Stiftungsrat von HEKS an, davon zehn Jahre als dessen Präsident. Was nehmen Sie aus der langen Zeit in diesem Amt mit?

Claude Ruey: Vor allem sehr viel Befriedigung. Wenn man wie ich zum einen gerne mit Menschen im Kontakt steht und zum anderen aus einer Familie stammt, die sich dem Dienst am Mitmenschen verschrieben hat, kann man in dieser Funktion viel Erfüllung finden. Diese habe ich vor allem im Kontakt mit den Mitarbeitenden von HEKS und den Begünstigten in unseren Projekten erfahren.

Warum haben Sie sich seinerzeit für HEKS entschieden?

Bei meinem Rücktritt als Waadtländer Regierungsrat hatte ich öffentlich meinen Wunsch nach einem Engagement im sozialen und humanitären Bereich kundgetan. Schon am nächsten Tag hat mir der Kirchenrat vorgeschlagen, als Stiftungsrat entweder für HEKS oder für «Brot für alle» zu kandidieren. Ich habe mich schliesslich für HEKS entschieden, weil ich zum einen von dessen guter Arbeit im Inland und im Ausland überzeugt war und zum anderen, weil ich damals einen Madagassen beherbergte, der durch HEKS in die Schweiz gekommen war.

Claude Ruey
Walter Imhof

Was waren während Ihrer fünfzehnjährigen Tätigkeit als Stiftungsrat die wichtigsten Meilensteine für HEKS?

Da möchte ich zum einen das in dieser Zeit sehr stark gestiegene Umsatzvolumen hervorheben, das in den vergangenen zehn Jahren von 55 auf 76 Millionen Franken angewachsen ist. Ausschlaggebend ist hier nicht der finanzielle Aspekt. Aber dieser erlaubt es uns, länger und für mehr Menschen Hilfe zu leisten. Wir erreichen heute mit unserem Engagement 1,3 Millionen Begünstigte in der Schweiz und weltweit. Dann haben wir unsere Strategie unter dem Aspekt einer klaren Positionierung und Fokussierung unserer Organisation und unserer Arbeit stetig weiterentwickelt. Dazu gehörte etwa die Definition unserer strategischen Schwerpunktthemen wie Zugang zu Land und Friedensförderung in der Auslandarbeit oder Chancengleichheit in der Inlandarbeit. Weiter wurde die Bedeutung und die Eigenständigkeit des Secrétariat romand innerhalb der Gesamtorganisation wie auch gegen aussen gestärkt. Dies manifestierte sich in einer um 150 Prozent gestiegenen Zahl der Mitarbeitenden, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Eröffnung unseres Standorts in Genf. Schliesslich haben wir uns mit der Lancierung innovativer Projekte und Programme noch stärker spezialisiert auf das Thema der Integration von MigrantInnen und Flüchtlingen. Darüber hinaus haben wir unsere Kommunikation und unsere Mittelbeschaffung stark ausgebaut, insbesondere mit unserer jährlichen «Hilfe schenken»-Kampagne. Und wir haben in allen Bereichen unserer Arbeit die Professionalisierung vorangetrieben – unter Wahrung unserer tradierten Werte.

Sie haben als Stiftungsrat viele Projektländer von HEKS besucht, welche sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Ich konnte diese Projektreisen jeweils während meiner Ferien oder im Rahmen beruflicher Mandate im Ausland unternehmen. Ich erinnere mich zum Beispiel gerne an eine sehr herzliche Begegnung mit einer Kleinbauernfamilie in Kambodscha. In Armenien war ich sehr berührt vom Treffen mit einem Bischof, der mir seine Ängste angesichts des Konflikts zwischen Aserbaidschan und der Türkei anvertraute. Und in Äthiopien hat mich ein Mann subtil darauf hingewiesen, dass die Menschen in seinem Land nicht nur materielle, sondern auch spirituelle Bedürfnisse hätten. Nicht zu reden von Israel/Palästina, wo ich beim Verlassen des Checkpoints in Bethlehem geweint habe, nachdem mir ein junger spanischer Jude und Friedensbeobachter erzählt hatte, dass er für die Menschenrechte der Palästinenser kämpfen wolle, obwohl er in seiner Jugend unter Antisemitismus gelitten habe. Dieser seelische Druck, dieses Engagement – das hat mich sehr berührt.

Für sein Engagement in Israel/Palästina erntet HEKS immer wieder auch harsche Kritik. Was antworten Sie diesen Kritikern?

Wir setzen uns ein für die Menschenrechte und für den Frieden – gemeinsam mit Menschen beider Seiten, die hüben und drüben Angst vor diesem Konflikt haben. Ich unterscheide zwischen dem biblischen jüdischen Volk und dem heutigen Staat Israel, auch wenn ich das Existenzrecht Israels anerkenne. Wie kann diese Situation verbessert werden? Es bleibt schwierig. Unsere Schwierigkeit ist der Spagat, in diesem Konflikt einerseits zwar neutral zu bleiben, ohne aber andererseits davor zurückzuschrecken, Rechtsverletzungen anzuprangern.

Welche Bedeutung hat aus Ihrer Sicht die anwaltschaftliche Arbeit von HEKS?

Eine sehr grosse, weil wir jenen benachteiligten Menschen eine Stimme geben, die ansonsten nicht gehört würden. Wichtig ist, dass wir uns dabei auf jene Handlungsfelder fokussieren, in denen wir kompetent sind. Ansonsten würden wir unsere Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen.

HEKS ist das Hilfswerk der evangelischen Kirchen: Welche Bedeutung hat diese kirchliche Verankerung für die Arbeit und die Aussendarstellung von HEKS heute und in Zukunft?

Da immer mehr Leute aus der Kirche austreten, sind die Hilfswerke die Einzigen, die noch im Kontakt mit der gesamten Bevölkerung stehen. In diesem Sinne repräsentiert HEKS eine Wertevision in der Gesellschaft. Unsere kirchliche Verankerung ist gewissermassen ein Teil der DNA von HEKS. Diese Wurzeln verschaffen uns zum einen Glaubwürdigkeit, andererseits sind sie aber auch Anlass für Kritik. Wir sollten also unsere Wurzeln anerkennen, uns aber nicht zu Gefangenen unserer eigenen Herkunft machen.

Was braucht HEKS am dringendsten?

Stabilität und Kontinuität einerseits, andererseits aber auch Kreativität und Innovationskraft. Man kann nur überleben, wenn man agil und anpassungsfähig bleibt. So wurden zum Beispiel seinerzeit die «Neuen Gärten»-Projekte oder die «Hilfe schenken»-Kampagne aus einem aktuellen Bedürfnis heraus lanciert. Sich selbst zu erneuern, ist eine Daueraufgabe, um effizient und erfolgreich zu sein. Zudem geht es darum, Allianzen mit anderen Hilfsorganisationen zu bilden. Unsere neue Strategie 2018 – 2022 postuliert ein moderates Wachstum, ohne Utopien zu kreieren.

Steht dieses angestrebte Wachstum nicht im Widerspruch zum Leitmotiv von HEKS «Im Kleinen Grosses bewirken»?

Jede Hilfsorganisation, die professionell arbeiten und gleichzeitig die Verwaltungskosten niedrig halten will, braucht ein gewisses Volumen, darüber sind sich alle Fachleute einig. Das Ziel von HEKS ist nicht, zu wachsen um des Wachstums willen, sondern mehr Menschen noch effizienter und wirksamer helfen zu können. Wir wollen auch kein multinational operierender Gigant werden, aber ohne eine gewisse Grösse kann HEKS langfristig seinen Auftrag nicht mehr erfüllen.

Samuel Berner
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