Kurzinfo vom 31. Oktober 2023

Beschwerde vor Bundesverwaltungsgericht gewonnen

Mit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVGer) vom 23. Oktober hat die HEKS-Rechtsberatungsstelle für Asylsuchende (SAJE) in Lausanne einen wichtigen Erfolg erzielt in ihren Bemühungen um einen stabilen Aufenthaltsstatus für Personen mit einer Beeinträchtigung und/oder Betreuungspflichten.

Der vom BVGer beurteilte Fall betrifft eine Familie aus dem Jemen, die vor 14 Jahren in die Schweiz kam. Die Familie war lange Zeit finanziell nicht unabhängig, da der Vater arbeitsunfähig ist und die Mutter sich vollumfänglich um die Erziehung der fünf Kinder kümmerte. Obwohl alle Kinder eingebürgert sind, lehnte das Staatssekretariat für Migration (SEM) das Gesuch der Eltern um Umwandlung der vorläufigen Aufnahme in eine B-Bewilligung ab. Das SEM begründete seinen Entscheid mit der mangelnden beruflichen Integration der Eltern und der langen Abhängigkeit von der Sozialhilfe. 

Discussion autour d'une table
YVES LERESCHE

Dank Ergänzungsleistungen der Invalidenversicherung (IV) ist das Ehepaar mittlerweile seit 2019 finanziell unabhängig. Zuvor hatte die IV aus formalen Gründen keine Unterstützung gewährt, die Invalidität des Vaters wurde von ihr jedoch immer anerkannt. Mit Unterstützung des SAJE reichte das Ehepaar deshalb beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde gegen den SEM-Entscheid ein. 

 

Das BVGer hält nun in seinem Urteil fest, dass den Eltern die fehlende finanzielle Unabhängigkeit nicht vollumfänglich zum Vorwurf gemacht werden kann, da die Invalidität des Vaters wie auch die Betreuungspflichten der Mutter gegenüber den fünf Kindern die fehlende berufliche Integration entschuldbar machen. Das Gericht bestätigt zwar, dass es sich dabei um einen Faktor zu Ungunsten der Eltern handelt. Dieser sei allerdings nicht ausschlaggebend. Vielmehr vertritt das BVGer den Standpunkt, dass die soziale Integration gelungen sei, da alle fünf Kinder eingebürgert wurden. Das Gericht weist zudem darauf hin, dass die lange Aufenthaltsdauer der Familie in der Schweiz die Anforderungen für die Erteilung einer B-Bewilligung herabsetzt. Abschliessend betont das BVGer, dass im Jemen seit acht Jahren Krieg herrsche und die Familie keine Verwandten oder andere soziale Kontakte in ihrem Herkunftsland habe. Im hypothetischen Fall einer Wegweisung sähe sich die Familie daher mit erheblichen Hindernissen bei der Reintegration konfrontiert. Die Interessenabwägung spreche deshalb für die Erteilung eines sicheren Aufenthaltsstatus in Form einer B-Bewilligung.

 

HEKS begrüsst das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes. Es trägt den grossen Schwierigkeiten der ersten Generation von Geflüchteten Rechnung, sich beruflich voll zu integrieren. Insbesondere für kinderreiche Familien ist es sehr schwierig, finanziell vollständig unabhängig zu werden. Im Fall der jemenitischen Familie wird die soziale Integration im Urteil zu Recht als gelungen bezeichnet, da alle Kinder eingebürgert wurden. «Trotz zahlreicher Herausforderungen und oft prekärer Situationen verstehen es die Migrant:innen der ersten Generation, ihre Kinder so zu fördern und zu begleiten, dass sie sich sozial und später auch beruflich bestens in der Schweiz integrieren. Dieser Verdienst muss anerkannt werden und das hat das Gericht mit dem heutigen Urteil getan», so Chloé Ofodu, Leiterin von SAJE. 

 

 

Das schweizerische Asylrecht gewährt Geflüchteten je nach Sachlage einen spezifischen Aufenthaltsstatus: Einige Personen erhalten Asyl (Ausweis B), andere werden nur vorläufig aufgenommen (Ausweis F). Der F-Ausweis erschwert den Familiennachzug, verunmöglicht in der Regel Reisen ins Ausland, führt oft zur Kürzung der Sozialhilfe und wirkt sich negativ auf die Psyche der Betroffenen aus. Sie fühlen sich in ihrer Schutzbedürftigkeit nicht anerkannt und befürchten eine Aufhebung der vorläufigen Aufnahme, auch wenn dies in der Praxis nur selten vorkommt. Das Gesetz sieht vor, dass Personen mit F-Ausweis nach fünf Jahren Aufenthalt in der Schweiz in der Regel einen gesicherten Aufenthaltsstatus, die B-Bewilligung erhalten, sofern sie eine weitgehende Integration nachweisen können. Eine weitgehende Integration sieht der Gesetzgeber dann als gegeben, wenn die betroffene Person oder die Familie finanziell unabhängig ist, eine der Landessprachen mindestens auf Niveau A1 beherrscht, schuldenfrei ist und nicht gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung verstossen hat. Bei der Interessenabwägung sind auch Hindernisse zur Reintegration im Herkunftsland zu berücksichtigen.