Bundesrat anerkennt Rückstand, setzt aber auf Verzögerungstaktik
Der heute publizierte Bericht des Bundesamtes für Justiz zeigt den Rückstand der Schweiz zur EU im Bereich Konzernverantwortung deutlich auf. Statt sein Versprechen aus dem Abstimmungskampf einzuhalten, spielt der Bundesrat auf Zeit: Sogar zur milden Berichterstattungs-Richtlinie der EU will er erst Mitte 2024 die Vernehmlassung starten. Damit droht die Schweiz für Jahre zum einzigen Land in Europa ohne Konzernverantwortung zu werden.
Handlungsbedarf ist offensichtlich
Der heute publizierte Bericht des EJPD zeigt den Rückstand der Schweiz zur EU bezüglich Konzernverantwortung klar auf. Der Bundesrat anerkennt damit zum ersten Mal, dass der EU-Vorschlag mit umfassenden Sorgfaltsprüfungspflichten für Konzerne im Bereich Menschenrechte, Umweltschutz und Klimaschutz deutlich weiter geht als der Schweizer Gegenvorschlag, der im Wesentlichen eine Berichterstattungspflicht und einzelne Sorgfaltsprüfungspflichten umfasst. Zusätzlich sieht die EU als Durchsetzungsmechanismen Aufsichtsbehörden mit Bussenkompetenz sowie Haftungsbestimmungen für Konzerne vor – diese fehlen im aktuellen Schweizer Gesetz gänzlich.
Druck von allen Seiten
Dass der Bundesrat endlich anerkennen muss, dass die Schweiz im Vergleich zur EU deutlich zurückliegt, ist sowohl dem Druck aus der Zivilgesellschaft, als auch dem zunehmenden Tempo des EU-Gesetzgebungsprozesses geschuldet. So einigte sich der Rat der Europäischen Union bereits gestern Donnerstagvormittag auf seine vorläufige Position zum Vorschlag der EU-Kommission. Vom EU-Parlament ist zudem bereits bekannt, dass es in einigen Punkten noch weiter gehen will als der Vorschlag der EU-Kommission. Es ist also klar, dass der vorliegende Vorschlag auf gutem Kurs ist und Änderungen nur noch Details betreffen.
Gestern Mittag wurden zudem in Bern über 217’000 Petitions-Unterschriften der Bundeskanzlei übergeben, die die Koalition für Konzernverantwortung in nur 100 Tagen gesammelt hat.
Auswirkungen der EU-Richtlinie auf Schweizer Konzerne
Der Bundesrat begründet seine Verzögerungstaktik auch damit, dass die Schweiz zuerst genau prüfen müsse, welche Auswirkungen das EU-Konzernverantwortungsgesetz auf Schweizer Konzerne bereits habe. Ab einem Umsatz von über 150 Millionen Euro im EU-Raum wären diese nämlich grundsätzlich auch von den Sorgfaltsprüfungspflichten betroffen.
Es wäre aber sehr gefährlich, daraus einen fehlenden Handlungsbedarf für den Schweizer Gesetzgeber abzuleiten, wie eine juristische Analyse der Wirkung auf Drittstaaten-Konzerne zeigt: Die Durchsetzung dieser Pflichten wäre ohne eigenes Schweizer Gesetz praktisch unmöglich. Die Haftung greift nicht, weil im EU-Raum meistens kein Gerichtsstand für Schweizer Konzerne besteht. Und auch die Aufsichtsbehörden könnten mangels einschlägiger Vollstreckungsübereinkommen mit der Schweiz nicht auf Konzerne wie Glencore zugreifen. Es ist offensichtlich, dass sich gerade problematische Rohstoffkonzerne nicht an neue Regeln halten werden, wenn diese nicht auch durchgesetzt werden können.