Medienmitteilung vom 2. Dezember 2022

Bundesrat anerkennt Rückstand, setzt aber auf Verzögerungstaktik

Der heute publizierte Bericht des Bundesamtes für Justiz zeigt den Rückstand der Schweiz zur EU im Bereich Konzernverantwortung deutlich auf. Statt sein Versprechen aus dem Abstimmungskampf einzuhalten, spielt der Bundesrat auf Zeit: Sogar zur milden Berichterstattungs-Richtlinie der EU will er erst Mitte 2024 die Vernehmlassung starten. Damit droht die Schweiz für Jahre zum einzigen Land in Europa ohne Konzernverantwortung zu werden.

Obwohl der Bundesrat den Rückstand der Schweiz im Bereich Konzernverantwortung grösstenteils anerkennt, soll es noch Jahre dauern bis die Schweiz – wenn überhaupt – ein griffiges Konzernverantwortungsgesetz nach EU-Vorbild erlässt. Alt-Ständerat Dick Marty, Vorstandsmitglied der Koalition für Konzernverantwortung, stellt klar: «Wenn man in einem Abstimmungskampf landauf landab verspricht, dass die Schweiz «international abgestimmt» vorgehen soll, kann man dieses Versprechen nicht einfach fallenlassen, wenn die internationale Entwicklung weiter geht als erwartet.»
In 100 Tagen 217509 Unterschriften für Konzernverantwortung
Koalition für Konzernverantwortung

Handlungsbedarf ist offensichtlich

Der heute publizierte Bericht des EJPD zeigt den Rückstand der Schweiz zur EU bezüglich Konzernverantwortung klar auf. Der Bundesrat anerkennt damit zum ersten Mal, dass der EU-Vorschlag mit umfassenden Sorgfaltsprüfungspflichten für Konzerne im Bereich Menschenrechte, Umweltschutz und Klimaschutz deutlich weiter geht als der Schweizer Gegenvorschlag, der im Wesentlichen eine Berichterstattungspflicht und einzelne Sorgfaltsprüfungspflichten umfasst. Zusätzlich sieht die EU als Durchsetzungsmechanismen Aufsichtsbehörden mit Bussenkompetenz sowie Haftungsbestimmungen für Konzerne vor – diese fehlen im aktuellen Schweizer Gesetz gänzlich.

Druck von allen Seiten

Dass der Bundesrat endlich anerkennen muss, dass die Schweiz im Vergleich zur EU deutlich zurückliegt, ist sowohl dem Druck aus der Zivilgesellschaft, als auch dem zunehmenden Tempo des EU-Gesetzgebungsprozesses geschuldet. So einigte sich der Rat der Europäischen Union bereits gestern Donnerstagvormittag auf seine vorläufige Position zum Vorschlag der EU-Kommission. Vom EU-Parlament ist zudem bereits bekannt, dass es in einigen Punkten noch weiter gehen will als der Vorschlag der EU-Kommission. Es ist also klar, dass der vorliegende Vorschlag auf gutem Kurs ist und Änderungen nur noch Details betreffen. 

Gestern Mittag wurden zudem in Bern über 217’000 Petitions-Unterschriften der Bundeskanzlei übergeben, die die Koalition für Konzernverantwortung in nur 100 Tagen gesammelt hat.

Der Bundesrat verzögert wo er kann

Trotz dem offensichtlichen Handlungsbedarf will der Bundesrat aber nicht wie gefordert, rasch ein griffiges Konzernverantwortungsgesetz ins Parlament bringen. Bis Ende 2023 soll erst nochmals ein neuer Bericht zum Thema erstellt werden. Ob die Schweiz im Bereich Konzernverantwortung die internationale Entwicklung nachvollzieht, wie es im Abstimmungskampf zur Konzernverantwortungsinitiative 2020 versprochen wurde, bleibt damit noch Jahre offen. Der Bundesrat sucht offensichtlich nach Ausreden und schreibt punkto Sorgfaltsprüfungspflichten trotz ausführlicher Analyse des Bundesamts für Justiz, es sei «derzeit noch nicht absehbar, wie die entsprechende Richtlinie der EU dereinst aussehen wird». 

Sogar die milde EU-Richtlinie über Berichterstattungspflichten, die bloss ein kleines Update des schwachen Gegenvorschlags bedeuten würde, wird erst Mitte 2024 (!) in die Vernehmlassung geschickt. 

Die Schweiz verpasst den Anschluss

Statt zu handeln, damit die Schweiz gleichzeitig wie die EU ein griffiges Konzernverantwortungsgesetz einführen kann, schiebt der Bundesrat das Thema also auf die lange Bank. Rahel Ruch, Geschäftsleiterin der Koalition für Konzernverantwortung, stellt klar: «Was der Bundesrat macht ist Arbeitsverweigerung. Nach dem heutigen Entscheid ist es klar, dass das Parlament das Heft jetzt in die Hand nehmen muss. Sonst ist die Schweiz noch über Jahre das einzige Land in Europa ohne Konzernverantwortung und kann als Umgehungsstandort missbraucht werden.»

Gerade auch im Hinblick auf die aktuellen Berichte über Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung durch Schweizer Konzerne ist der heutige Entscheid äusserst stossend. So deckten die Tamedia-Zeitungen Ende September beispielsweise auf, wie die UBS brasilianische Agrarkonzerne finanziert, die in illegale Abholzung verwickelt sind. Der Genfer Reedereikonzern MSC, der Milliarden umsetzt, lässt seine Schiffe unter katastrophalen Bedingungen an indischen Stränden verschrotten. Und neue Dokumente zeigen, mit welchen skrupellosen Mitteln Syngenta die Gefährlichkeit seines Pestizids Paraquat verschleierte.

Lorenz Kummer
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Auswirkungen der EU-Richtlinie auf Schweizer Konzerne

Der Bundesrat begründet seine Verzögerungstaktik auch damit, dass die Schweiz zuerst genau prüfen müsse, welche Auswirkungen das EU-Konzernverantwortungsgesetz auf Schweizer Konzerne bereits habe. Ab einem Umsatz von über 150 Millionen Euro im EU-Raum wären diese nämlich grundsätzlich auch von den Sorgfaltsprüfungspflichten betroffen.

Es wäre aber sehr gefährlich, daraus einen fehlenden Handlungsbedarf für den Schweizer Gesetzgeber abzuleiten, wie eine juristische Analyse der Wirkung auf Drittstaaten-Konzerne zeigt: Die Durchsetzung dieser Pflichten wäre ohne eigenes Schweizer Gesetz praktisch unmöglich. Die Haftung greift nicht, weil im EU-Raum meistens kein Gerichtsstand für Schweizer Konzerne besteht. Und auch die Aufsichtsbehörden könnten mangels einschlägiger Vollstreckungsübereinkommen mit der Schweiz nicht auf Konzerne wie Glencore zugreifen. Es ist offensichtlich, dass sich gerade problematische Rohstoffkonzerne nicht an neue Regeln halten werden, wenn diese nicht auch durchgesetzt werden können.