Stellungnahme vom 12. Juni 2023

Ständerat macht vorwärts bei der Armutsbekämpfung

«Armut ist kein Verbrechen» – diese Aussage erscheint selbstverständlich. So sieht es auch der Ständerat. Er sagt Ja zur parlamentarischen Initiative «Armut ist kein Verbrechen» und möchte bei der Bekämpfung von Armut in der Schweiz vorwärtskommen: Menschen ohne Schweizer Pass, die schon mindestens zehn Jahre in der Schweiz leben, sollen bei unverschuldetem Sozialhilfebezug nicht länger aufenthaltsrechtliche Konsequenzen befürchten müssen. HEKS ist erfreut über diesen richtungsweisenden Entscheid.  

Wer in der Schweiz in eine finanzielle Notlage gerät, hat Anrecht auf finanzielle Unterstützung: Die Sozialhilfe hat die Aufgabe, die Menschen vor Armut und Ausgrenzung zu schützen und allen ein Leben in Würde zu garantieren. Dies ist in der Bundesverfassung festgeschrieben und gilt für alle, unabhängig ihrer Herkunft. Dieses Anrecht auf Hilfe wird aber seit 2019 durch das Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) stark eingeschränkt: Heute müssen armutsbetroffene Personen ohne Schweizer Pass um ihre Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung in der Schweiz fürchten, wenn sie Sozialhilfe beziehen – selbst wenn sie schon länger als zehn Jahre in der Schweiz leben, viele Jahre hier gearbeitet haben oder sogar hier geboren sind.
Armut ist kein Verbrechen
Yves Leresche

HEKS beobachtet in seiner täglichen Arbeit, wie Menschen ohne Schweizer Pass, die Sozialhilfe beziehen, enorm unter der Androhung aufenthaltsrechtlicher Konsequenzen leiden. Der psychische Druck macht krank, erschwert die soziale Teilhabe und den beruflichen Wiedereinstieg. Viele verzichten aus Angst sogar ganz auf den Bezug von Sozialhilfe und verschulden sich stattdessen. Dies wurde während der Corona-Pandemie besonders deutlich sichtbar. Die Folgen des Verzichts auf Sozialhilfe sind höchst prekäre Lebenssituationen. Auf notwendige ärztliche Behandlungen wird verzichtet, die berufliche Integration wird weiter erschwert. Armut und Ausgrenzung nehmen zu. Besonders betroffen sind dabei Familien und Alleinerziehende mit Kindern.  

Den Bezug von Sozialhilfe mit dem Widerruf der Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung zu sanktionieren, erachtet HEKS grundsätzlich als stossend und besonders bei schon länger in der Schweiz lebenden Menschen als absolut unverhältnismässig. Mit der parlamentarischen Initiative «Armut ist kein Verbrechen» von Nationalrätin Samira Marti (SP) wurde dem Parlament ein pragmatischer Lösungsvorschlag vorgelegt. Sie fordert, dass aufenthaltsrechtliche Konsequenzen aufgrund von Sozialhilfebezug nach zehn Jahren ordnungsgemässem Aufenthalt in der Schweiz nicht mehr möglich sind, es sei denn, die betroffene Person hat die Situation, die zur Sozialhilfebedürftigkeit geführt hat, mutwillig herbeigeführt oder mutwillig unverändert gelassen. Eine solche Gesetzesänderung kann die aktuell prekäre und menschenunwürdige Situation für viele betroffene Menschen entschärfen. HEKS ist erfreut, dass der Ständerat diese Chance ergreift und mit seinem positiven Entscheid ein konkretes Vorwärtskommen bei der Armutsbekämpfung in der Schweiz ermöglicht. 

Samuel Berner
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HEKS engagiert sich weltweit und in der Schweiz für Inklusion und Chancengerechtigkeit. 2022 überreichte HEKS dem Schweizer Parlament die Petition «Für eine gerechte Sozialhilfe». Diese fordert eine Sozialhilfe, die alle Menschen in einer finanziellen Notlage unterstützt – auch Menschen ohne Schweizer Pass.