Stellungnahme vom 15. August 2023

Afghan:innen schützen

Seit der Machtübernahme der Taliban vor zwei Jahren, am 15. August 2021, hat sich die Menschenrechtslage in Afghanistan massiv verschlechtert, insbesondere für Frauen. Täglich fliehen Tausende von Menschen, Hunderttausende harren seit Monaten in den Nachbarländern Iran und Pakistan aus. Auch dort sind sie nicht sicher und leben unter prekären Bedingungen. Angesichts der weitreichenden Verfolgung und der immensen Zahl der Betroffenen fordert HEKS von Bundesrat und Parlament, dass die Schweiz ihre humanitäre Verantwortung wahrnimmt und sichere und legale Fluchtwege für verfolgte Afghan:innen schafft.

Laut dem Länderbericht von Amnesty International haben in Afghanistan die Einschränkungen der Frauenrechte, der Medienfreiheit und des Rechts auf freie Meinungsäusserung 2022 exponentiell zugenommen. Frauen und Mädchen werden von den Taliban aus dem öffentlichen Raum verbannt, ihre Rechte massiv eingeschränkt.  
 
Afghan:innen, die gegen die Gesetze und die sozialen Normen der Taliban verstossen, werden willkürlich verhaftet, gefoltert und hingerichtet. Bestimmte Personengruppen und ihre Familienangehörigen sind besonders gefährdet: Ehemalige Regierungs- und Sicherheitsangestellte, Menschenrechtsaktivist:innen, Journalist:innen, Personen, die mit westlichen Akteuren zusammengearbeitet hatten, Kulturschaffende und gewisse Minderheiten werden durch die Taliban gezielt verfolgt, bedroht und ermordet.  
Afghan:innen schützen
Reza Sayyid* hatte Glück. Dem 32-Jährigen, seiner Frau und den gemeinsamen Kindern gelang die Flucht. Mit Unterstützung der HEKS-Rechtsberatungsstelle für Asylsuchende in Basel (BAS) beantragte er ein humanitäres Visum für die Schweiz. Weil Sayyid für eine Schweizer NGO gearbeitet hatte, wurde ihm das humanitäre Visum bewilligt. Im November 2021 konnte die Familie in die Schweiz einreisen. Rund 2500 Afghan:innen stellten in den letzten zwei Jahren (August 2021 bis Mai 2023) ein Gesuch für ein humanitäres Visum in der Schweiz – lediglich 142 erhielten in diesem Zeitraum einen positiven Bescheid. 

«Ich bin froh, dass wir in der Schweiz in Sicherheit sind», sagt Sayyid, «doch glücklich scheine ich nur gegen aussen. Innerlich mache ich mir ständig Sorgen, vor allem um meine Eltern und meinen jüngeren Bruder.»  

Sayyids Mutter arbeitete in Afghanistan als Frauenrechtsaktivistin für internationale Organisationen. Sie wurde von den Taliban bedroht. Ende 2021 flüchteten die drei nach Iran. Sie haben in verschiedenen Ländern ein humanitäres Visum beantragt, auch in der Schweiz. Bisher ohne Erfolg. Inzwischen ist ihr Aufenthaltsvisum im Iran abgelaufen, ihre Ersparnisse sind aufgebraucht. Sie müssen sich verstecken. Werden sie von den iranischen Behörden gefunden, droht ihnen die Abschiebung nach Afghanistan – und dort der Tod.  

Wie Sayyids Eltern und seinem Bruder geht es Tausenden afghanischer Frauen und Männern, die seit 2021 in Nachbarländer wie Iran oder Pakistan geflüchtet sind. Sie alle sind auch dort nicht sicher, sie warten verzweifelt auf ein humanitäres Visum.  

* Name von der Redaktion geändert. 

Geflüchtete Frau steigt aus einem Flugzeug
Humanitäres Visum

Um ein humanitäres Visum zu erhalten, muss eine Person in ihrem Heimatland unmittelbar, ernsthaft und konkret an Leib und Leben bedroht sein. Eine weitere wichtige Voraussetzung ist der Bezug zur Schweiz. Das Gesuch um ein humanitäres Visum muss persönlich bei einer Schweizer Vertretung eingereicht werden. Aufgrund der restriktiven Praxis haben aber selbst Personen mit hohem Risikoprofil kaum Chancen auf ein humanitäres Visum und damit auf einen legalen und sicheren Fluchtweg in die Schweiz. 

Angesichts der weitreichenden Verfolgung, der massiven Einschränkungen und Verletzungen von Grundrechten und der hohen Gefährdung auch in den Nachbarländern trägt die Schweiz eine humanitäre Verantwortung gegenüber Afghan:innen in Not. Die Schweiz kann und muss mehr tun, um Afghan:innen zu schützen, insbesondere die verletzlichsten unter ihnen – dazu gehören Frauen mit kleinen Kindern, alte oder kranke Menschen –, die ohne Hilfe keine Möglichkeit haben, in ein sicheres Land zu gelangen und dort Asyl zu beantragen. HEKS appelliert deshalb an Bundesrat und Parlament, endlich mehr sichere und legale Zugangswege zu schaffen für Afghan:innen, die von den Taliban verfolgt werden.  
 

Konkret fordert HEKS:  

  • Die aktuelle Praxis bei der Erteilung humanitärer Visa ist zu restriktiv und muss angepasst werden. 
  • Die Verfahren für Familienzusammenführungen und humanitäre Visa müssen beschleunigt und die administrativen Hürden gesenkt werden. 
  • Dem besonderen Schutzbedarf von Mädchen und Frauen muss Rechnung getragen werden.  
  • Die Asylgesuche aller afghanischer Geflüchteter müssen sorgfältig und individuell geprüft werden. 
  • Das Resettlement-Programm muss so rasch wie möglich wieder aufgenommen werden.

Mehr Hintergründe und unsere ausführlichen Forderungen finden Sie hier.

 

Dieter Wüthrich
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