Kongo Tribunal - Kolwezi Hearings
Nina Burri, HEKS
Blogbeitrag von Nina Burri

Ortstermine in Afrika – Teil 2

Blogbeitrag vom 30.12.2021

Ortstermine in Afrika – Teil 2

Die Kolwezi-Hearings

Von den Gold- und Platinminen in Südafrika fliege ich nach Norden, in den afrikanischen Kobalt- und Kupfergürtel. Nach zweieinhalb Stunden landen wir in Lubumbashi, der zweitgrössten Stadt der Demokratischen Republik Kongo, wo unsere Partnerorganisation Afrewatch zu Hause ist. Dort herrscht grosse Freude, hat doch Afrewatch wenige Tage zuvor am UNO-Forum für Wirtschaft und Menschenrechte einen international renommierten Preis gewonnen. Die Auszeichnung erhielt Afrewatch für ihre Sensibilisierungsarbeit in den Gemeinden rund um die Rohstoffminen in Kolwezi – ein Projekt, das Fastenopfer und Brot für alle seit Beginn unterstützen.

Wir fahren nach Kolwezi, wo Mutanda Mining (Mumi) und Kamoto Copper Company (KCC), zwei Tochterfirmen von Glencore, grosse Kobalt- und Kupferminen betreiben. Hier finden in den kommenden drei Tagen die sogenannten ‘Kolwezi-Hearings’ des Kongo-Tribunals statt: Unter der Leitung des kongolesischen Anwalts Sylvestre Bisimwa und seiner Kollegin Céline Tshizena von Afrewatch werden im Parlamentssaal der Provinz Lualaba Fälle negativer Auswirkungen der Tätigkeiten multinationaler Konzerne in der Region verhandelt.

Milo Rau und die Kongo-Tribunale

Echte Expert:innen, echte Zeug:innen und Opfer sagen vor einer internationalen Jury aus. Das Tribunal an sich ist jedoch keine echte juristische Instanz, sondern eine künstlerische Inszenierung, gegründet und durchgeführt vom bekannten Schweizer Theaterregisseur Milo Rau und seinem Team. Immer wieder bringt er mittels verschiedener künstlerischer Ansätze Tragödien der Gegenwart auf die Bühne. So organisierte er im Jahr 2015 das erste Kongo-Tribunal in Bukavu, Süd-Kivu, woraus ein international preisgekrönter Film entstand. Nach einer weiteren Verhandlung im Herbst 2020 im Schauspielhaus in Zürich findet das Kongo-Tribunal nun seine Fortsetzung in Kolwezi.

Im Zentrum der Anhörungen stehen die Verantwortung von Glencore und den kongolesischen Behörden. Neben der Vergabe der Minenkonzessionen und der Situation von Kleinschürferinnen und Kleinschürfern werden zwei Fälle verhandelt, die auf Recherchen von Brot für alle und Fastenopfer basieren: Die Verschmutzungen in den Dörfern Kaindu und Moloka neben Glencores Mutanda-Mine in den Jahren 2013, 2014 und 2017 sowie der schlimme Unfall eines Säuretanklastwagens auf dem Weg zur Mutanda-Mine im Februar 2019, der über zwanzig Todesopfer und mehrere Schwerverletzte forderte. Brot für alle ist nach wie vor in Kontakt mit den Opfern dieser Vorfälle und unterstützt sie gemeinsam mit unseren Partnerorganisationen Afrewatch und Centre d’aide juridico-judiciaire (CAJJ) in ihrem Kampf um eine faire Entschädigung.  

Insbesondere die Anhörungen der Opfer ist sehr ergreifend. Sie erzählen hautnah von ihrer Lebensrealität, die sich durch die behandelten Vorfälle gravierend verändert hat. Deren Narben sind auch Jahre später noch sichtbar: Auf den Feldern gibt es noch immer keine Ernte; die durch die Schwefelsäure verursachten Verletzungen entzünden sich noch heute.

Den Stimmen der Opfer Gehör verschaffen

Doch wozu ein Theatertribunal, das keine griffigen Sanktionen beschliessen kann?

Zum einen eröffnet ein zivilgesellschaftliches Tribunal breitere Möglichkeiten. Weil es nicht an die einschränkenden Leitplanken eines juristischen Prozesses gebunden ist, kann es nicht nur über die juristische Verantwortung der involvierten Akteure entscheiden, sondern auch Fragen zu deren ethischer und moralischer Verantwortung stellen. Andererseits zeigte sich in der Forschung zu Post-Konfliktgebieten, dass künstlerische Formen der Konfliktbewältigung besonders dann erfolgreich sein können, wenn möglichst viele Betroffene involviert sind und ein Forum geschaffen wird, wo die Stimme der Opfer gehört werden kann. Solche Prozesse können wiederum für die persönliche psychologische Bewältigung von erlittenem Leid eine wichtige Rolle spielen.

Und so sind auch die anfänglich noch skeptischen Opfer in Kolwezi am Ende sehr zufrieden. «Das Tribunal war sehr gut. Zum ersten Mal konnten wir unsere Geschichte erzählen, und wichtige Menschen aus der Politik, den Medien und von den Unternehmen haben zugehört», sagt etwa Theophista Kazadi, deren Enkeltochter Anaïs durch den Unfall des Säuretanklastwagens 2019 schwer verletzt wurde. Die Säure frass sich in ihren Kopf und ihr Gesicht, noch heute kann sie nicht sehen. Sie ist acht Jahre alt.

Die internationale Jury fand denn auch klare Worte in ihren Schlussreden und ihrem Urteil: Glencore wie auch der kongolesische Staat werden aufgefordert, ihrer Verantwortung nachzukommen sowie Gesetze zu erlassen und strenger umzusetzen, die eine bessere Entwicklung in der Region ermöglichen und das Wohlergehen künftiger Generationen nicht gefährden.

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