Der Ukraine-Krieg und seine Folgen für die weltweite Ernährungssicherheit
HEKS/Christian Bobst
Blogbeitrag von Johanna Herrigel und Silva Lieberherr vom 21.04.2022

Der Ukrainekrieg zeigt, dass wir ein anderes Ernährungssystem brauchen

Der Ukrainekrieg zeigt, dass wir ein anderes Ernährungssystem brauchen

Der Krieg in der Ukraine hat verheerende Folgen für die Ernährungssicherheit weltweit – und er zeigt, wie dringend ein Umbau des heutigen, auf Profitstreben ausgerichteten Ernährungssystems ist. 

Steigende Preise für Grundnahrungsmittel

Wenn die Ukraine und Russland ihre Ernten nicht mehr exportieren können, wird das vielerorts katastrophale Folgen haben. Ganze 12% der global gehandelten Kalorien kommen aus der Ukraine oder Russland. Viele der ärmsten Länder sind zur Deckung des Bedarfs an Grundnahrungsmitteln unter anderem von diesen Lebensmittelimporten abhängig. Für viele Menschen werden Grundnahrungsmittel so unerschwinglich.

Und es geht um weit mehr als um Weizen: In Senegal beispielsweise sind die Preise aller Lebensmittel seit Kriegsbeginn um 10 bis 25% gestiegen, wie Amadou Gueye, Landesdirektor von HEKS in Senegal, berichtet. Der Staat federt einen Teil dieser Preiserhöhungen ab bei Grundnahrungsmitteln wie Reis, Speiseöl und Zucker. Aber das ist teuer: der senegalesische Staat gibt hierfür rund 10% seines Jahresbudgets aus, sagt Gueye weiter. 

Der Ruf nach industrieller Landwirtschaft 

Hunger und Ernährungssicherheit rücken weltweit einmal mehr in den Fokus – und mit ihnen die Diskussion darüber, wie in Zukunft genug Nahrungsmittel produziert werden können. Die Befürworter:innen der industriellen Landwirtschaft versuchen, diese Krise dafür zu nutzen, ihr altes Argument zu stärken, wonach nur mit industrieller Landwirtschaft genug produziert werden könne. 

So hat der EU-Kommissar für Landwirtschaft  kürzlich bestätigt, dass die Diskussion über einen reduzierten Einsatz von Pestiziden für den Moment vom Tisch sei. Aber Versorgungssicherheit darf nicht gegen Nachhaltigkeit ausgespielt werden. Denn dass Agrarökologie wichtiger ist denn je, macht diese Krise deutlich. 

Das Problem mit dem Dünger

Selbstverständlich ist es wichtig, dass weiterhin genügend Nahrungsmittel produziert werden können. Aber es sind nicht einzig die Lebensmittel, sondern auch Dünger und Treibstoff, die durch Krieg und Sanktionen knapp zu werden drohen. Und darauf basieren die kurzfristigen Produktionssteigerungen der industriellen Landwirtschaft. Vom global gehandelten Stickstoffdünger stammen 15% aus  Russland, beim Kalidünger sind es 17% – und weitere 16% aus Weissrussland. Und auch der starke Anstieg der Treibstoffpreise ist unmittelbar spürbar. 

Sowohl mineralischer Dünger wie auch Treibstoff sind Gründe dafür, dass die Landwirtschaft heute einen grossen Teil zur Klimakrise und der Zerstörung der Böden beiträgt. Trotzdem ist die landwirtschaftliche Produktion, vielerorts auch die kleinbäuerliche, von ihnen abhängig. Das lässt sich nicht von heute auf morgen ändern. Und deshalb müssen wir ab sofort überall die landwirtschaftliche Produktion möglichst unabhängig machen von nicht erneuerbaren Ressourcen. Es braucht eine agrarökologische Landwirtschaft, die den Boden aufbaut und das Klima schont. 

 

In solchen Krisen zeigt sich, dass es Land braucht für eine agrarökologische und solidarische Landwirtschaft. Es braucht Land, damit die Leute selbstbestimmt das anbauen können, was sie satt macht.

Der Hunger nach Land

Aber das reicht nicht. Denn dieser Krieg zeigt auch, wie ungeeignet der kapitalistisch organisierte Weltmarkt ist, um Hunger zu bekämpfen. Auch wenn immer mehr Menschen unmittelbar von Hunger und Ernährungsunsicherheit bedroht sind, wird auf den Weltmärkten weiterhin mit Nahrungsmitteln spekuliert.

Und vor allem wird auf den Feldern immer noch angebaut, was Profit bringt – und nicht, was satt machen würde und gut für Mensch und Klima wäre. Grosse Landflächen in Europa und weltweit werden für den Anbau von Futter genutzt statt für Nahrungsmittel. Riesige Plantagen in afrikanischen und anderen Ländern werden dazu genutzt, Agrarrohstoffe wie Kakao, Kaffee, Palmöl, Kautschuk oder Blumen anzubauen – anstatt die Ernährungssicherheit der Bevölkerung an die erste Stelle zu setzen. 

Was in kolonialer Zeit begonnen hat, geht auch heute weiter. Plantagen für solche Rohstoffe breiten sich aus und die Plantagenfirmen rauben dafür den Kleinbäuerinnen und Kleinbauern das Land. Es wird die Hoffnung geschürt, dass damit die Ernährungssicherheit der Menschen vor Ort gestärkt werde, auch wenn dies einer wissenschaftlichen Grundlage entbehrt. Aber in solchen Krisen zeigt es sich, dass es Land braucht für eine agrarökologische und solidarische Landwirtschaft. Es braucht Land, damit die Leute selbstbestimmt das anbauen können, was sie satt macht.

Ein solidarisch und selbstbestimmt organisierter Handel, der nicht von Grosskonzernen dominiert wird, kann Hungerkrisen verhindern. Es braucht ein grundlegend anderes Handels- und Produktionssystem.

Für Ernährungssouveränität

Deshalb ist es wichtig die Ernährungssysteme zu verändern – hin zu einer echten Ernährungssouveränität. Wenn lokal Lebensmittel angebaut werden mit agrarökologischen Methoden, dann ist das Ernährungssystem auch resistenter gegen Krisen. Und wenn es doch zu einer Krise und einer regionale Nahrungsmittelknappheit kommt, kann ein solidarisch und selbstbestimmt organisierter Handel, der nicht von Grosskonzernen dominiert wird, Hungerkrisen verhindern. Es braucht ein grundlegend anderes Handels- und Produktionssystem. Eines, bei dem das angebaut wird, was die Menschen tatsächlich ernährt. Ganz egal, ob sie dafür bezahlen können.

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